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Jahre ohne Amrar

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Wo steht das denn? In „Jahre ohne Amrar“ von Joke van Leeuwen und Malika Blain. Casablanca, im Marokko der 70er Jahre: Unter König Hassan II ist die Studentenbewegung verboten. Wer für die Demokratie eintritt und soziale Missstände anklagt, wird verfolgt und verschwindet in geheimen Gefängnissen, nicht selten für immer.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

In dieser Zeit wächst Zima auf. Sie lebt mit ihrer großen Familie in einem winzigen Haus mit Wellblechdach und nur drei Räumen. Amrar, ihr großer Bruder, gehört zu den Studenten, die mehr Freiheit fordern und gegen die Politik des Königs eintreten. Sie verfassen Flugblätter und organisieren oppositionelle Treffen. Nachdem Amrar eines Tages nicht nach Hause kommt, kann die Familie nichts über seinen Verbleib und sein Schicksal in Erfahrung bringen. Obwohl sie zu Polizeistationen laufen und Briefe an Minister und den König selbst schreiben, wird ihnen nicht einmal mitgeteilt, ob Amrar überhaupt noch am Leben ist. Erst ein halbes Jahr später bekommt die Familie einen Brief von ihm: Amrar sitzt im Gefängnis und soll dort, laut dem Urteil einer unzureichenden Gerichtsverhandlung, auch für die nächsten zwölf Jahre bleiben. Fahrten zum weit entfernten Gefängnis kann sich Zimas Familie, kaum leisten. Ihr Alltag erscheint leer ohne Amrar und wird von der Angst um ihn und vor weiteren Verhaftungen beherrscht. „Jahre ohne Amrar“ erzählt von dem Leben der ganz normalen, armen Familie eines der zahlreichen politischen Gefangenen unter Hassan II. Die junge Zima berichtet, wie sie ohne ihren geliebten Bruder aufwächst, auf unparteiische und schlichte Art, eben aus der Sicht eines Kindes. Kein bisschen trist wird der Leser durch die Zeit geführt und erfährt, wie eine Familie durch Liebe, Courage und Einsatzbereitschaft noch die schwierigsten Situationen meistert und die Hoffnung nicht aufgibt. Obwohl die Personen frei erfunden sind, basiert die Geschichte auf wahren Begebenheiten: Eine der beiden Autorinnen, Malika Blain, ist tatsächlich die jüngere Schwester zweier ehemaliger politischer Gefangenen in Marokko und auf ihren Erzählungen und Zeugnissen beruht das Buch. Joke van Leeuwen hatte als Mitglied von Amnesty International jahrelang Kontakt zu ihr und ihrer Familie. Dieses Buch porträtiert einerseits die marokkanische Familie und zeigt auf liebevolle Art, wie die einzelnen Mitglieder mit der Situation umgehen, dabei aber vor allem zusammenhalten. Die Besonderheit liegt in der Schreibweise: Einfache Sätze, lustige Dialoge und ehrliche Gedankengänge sind ebenso schlicht wie ergreifend. Erschütternd und lustig zugleich reißt das Schicksal von Zima und ihrer Familie den Leser mit sich und informiert ganz nebenbei über eine schwierige und bewegte Zeit Marokkos. Steht im Bücherregal zwischen: Klaus Kordons „Die roten Matrosen“ und „Die Gefangene – Ein Leben in Marokko“ von Malika Oufkir, der Adoptivtochter des Königs, die nach dem Putschversuch und der Exekution ihres leiblichen Vaters über 20 Jahre lang mit ihrer Mutter und den kleinen Geschwistern als politische Gefangene eingesperrt war. Ebenfalls unbedingt zu empfehlen.

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