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„Das erste Gedicht muss gleich ein Bringer sein, sonst lesen die Leute nicht weiter“

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Hast du immer Zettel und Stift dabei? Schon. Außer beim Duschen. Neuerdings auch eine Kamera. Welche Rolle spielt das Schreiben für dich? Ich habe mal ein Interview mit einem Schriftsteller gelesen, in dem er gefragt wurde, ob er seine Gedichte in den Sand schreiben würde, verschlüge es ihn auf eine einsame Insel. Dieser Schriftsteller antwortete seltsamerweise mit Ja. Ich bin mir da nicht so sicher. Vielleicht würde ich sie einfach nur im Kopf behalten oder laut vor mich hin sagen, die Bäume unterhalten, den Sand, das Meer.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Kann man eigentlich heutzutage Frauen noch mit Gedichten beeindrucken? Ein Freund kam mal zu mir und fragte nach neuen Sugardaddy-Büchern. Ich war etwas verwirrt und er meinte, die kämen so gut bei Frauen an. Da stellte ich mir die Frage, warum ich das eigentlich selbst noch nicht probiert habe. Ich bin aber zur Zeit auch in festen Händen. Aber die Gedichte sind schon Leuten gewidmet? Viele meiner Gedichte sind Leuten gewidmet. Männer und Frauen. Die bekommen die Gedichte aber schon, bevor ein Buch rauskommt. Ich gebe sie ihnen persönlich oder schicke sie per Brief. Wie reagieren die Leute darauf`? Man bekommt ja nicht jeden Tag ein Gedicht geschenkt. Ich weiß nicht genau. Danke sagen sie nicht. Sei freuen sich schon, aber das Ganze läuft mehr so unter der Hand. Neuerdings mache ich auch Photoboxen. Ich dokumentiere Abende mit der Kamera und schreibe einen Text dazu. Am Ende gibt es zwei Photoboxen. Eine für mich und eine für den anderen Menschen. Das können gute oder schlechte Abende sein. Manchmal sage ich damit auch, dass derjenige ein Arschloch ist. Aber oft kann man danach auch besser miteinander reden, als es an diesem Abend der Fall war. Hast du auch schon einmal ein Gedicht geschenkt bekommen? Hin und wieder schon. Noch eine kleine Geschichte... Ich habe da mal eine Serie von acht Bildern gemalt, die dokumentieren, wie eine Bild angefangen vom weißen Blatt über einen total wüsten Haufen bunter Elemente bis hin zur fast vollkommenden Schwärzung entsteht. Und ein Freund, der von diesen Bildern nichts wusste, hat mir einen Text von sich zum Lesen gegeben, in dem es um ein Mädchen geht, das sich erst eine schöne Welt malt und diese dann wieder schwarz übermalt. Als ich das gelesen habe, war ich ganz schön verstört. Was für ein Zufall. Ich glaube, wir haben den Text und die Bilder irgendwie unbewusst füreinander geschaffen. Was willst du bei den Leuten erreichen mit deinem Schreiben? Ich will damit nichts erreichen. Ich möchte eigentlich nur sagen, was ich in einem bestimmten Moment gedacht habe. Manche Dinge kann ich besser schreiben als sprechen. Es besteht oft einfach eine Art Notwendigkeit, etwas aufzuschreiben. Damit man die Dinge besser versteht, sie besser durchleuchten kann. Manchmal schreibe ich einfach Dinge auf, um schlafen zu können. In welchen Situationen sind denn die Sugardaddy-Texte entstanden? Meistens im Nachhinein. Wenn ich mich auch wirklich darauf konzentrieren kann und die Geschichte schon ein bisschen im Kopf gearbeitet hat. Vielleicht mache ich mir manchmal kurze Notizen, um bestimmte Situationen oder Details nicht zu vergessen. Und betrunken kann ich gar nicht schreiben. Das ist dann alles nur so assoziativer, zusammenhangsloser Kram, der im Tageslicht wieder in sich zusammenfällt. „Im Herbst“ habe ich zum Beispiel ganz spontan in irgendeinem Café geschrieben, als ich gerade wieder „Im Sommer“ von Wondratschek gelesen habe. Ich habe nach diesem Text nie wieder etwas von Wondratschek gelesen und mir vorgestellt, er hätte es für mich geschrieben. Manche Gedichte sind ja auch „nur“ kurzer Witz. Warum sind die Sachen trotzdem in dem Buch? Um zu zeigen, dass Gedichte lustig sein können und nicht nur trockene Zeilen sind, die man sich im Deutsch-Unterricht einhämmern musste? Früher habe ich fast ausschließlich so kurze Texte geschrieben. Die waren aber meist zu wirr und die Kürze oft nur Einfallslosigkeit. Mit der Zeit habe ich es dann aber geschafft, meine Gedanken nur in ein paar Zeilen treffender auszudrücken als würde ich eine Seite schreiben. In Sugardaddy ist zu diesem Thema ja auch ein kleiner Hinweis auf Richard Brautigan, dessen kurze Gedichte ich sehr schätze. Manchmal brauchen die Ideen für ein Gedicht einfach nicht mehr als fünf, sechs Zeilen. Da muss man nicht seitenlang drum herum labern und Bilder finden, die keiner versteht. Und das größte Problem des Deutschunterrichts war wahrscheinlich die Auswahl der Autoren, mit denen man da zugeballert wurde. Wie soll ich denn „Stiller“ von Max Frisch als 16-Jähriger verstehen? Das hatte mit uns und unserem Alter, dem Leben und Denken ja nur wenig zu tun. Das Thema um die Identität ist ja gut ausgewählt, aber der Zeitpunkt eben nicht. Oder warum mussten wir damals im Englischunterricht Shakespeare lesen, wenn es „Die Straße der Ölsardinen“ von Steinbeck gibt? Das ist ein Buch, dass ich gerne mit sechzehn gelesen hätte. Ich lese es immer noch, mindestens einmal pro Jahr. Das letzte Gedicht in deinem Buch heißt „Verzeih mir all die Gedichte“. Entschuldigst du dich damit bei jemandem? Es wäre nicht anders möglich gewesen. Es ist keine Entschuldigung in dem Sinne, dass ich alle Dinge in Frage stelle, die ich vorher gemacht. Aber ich bin mir darüber bewusst, dass ich naturgemäß Sachen versäumt habe zu tun, als ich schrieb.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ist das Schreiben für dich Luxus im Alltag? Das kann ich nicht so genau sagen. Die Worte und Ideen entstehen einfach überall, wo ich mich bewege. Ich setze mich nicht extra vor den Rechner zum Schreiben, aber ich schreibe trotzdem jeden Tag. Die Texte kommen quasi automatisch zusammen. Da fällt mir ein Gedicht von Richard Brautigan ein, einem amerikanischen Dichter aus den Sechziger. „Ich habe die fünf Gedichte / die ich heute geschrieben habe / in einem Notizbuch / in derselben Tasche, in der / mein Pass steckt. Sie / sind ein und dasselbe.“ Manchmal fühle ich mich so, wenn es ums Schreiben geht. Momentan beschäftige ich mich auch eher mit dem Buch als Medium an sich und wie man heutzutage Bücher machen kann, die sich vom gängigen Taschenbuch abheben. Mich interessiert, wie Bücher heutzutage funktionieren und wie man Leuten Literatur nahe bringen kann. Oft ist Lesen ja so eine vereinsamte Geschichte. Was kann man dagegen tun? Die Menschen mit Texten und Büchern konfrontieren, die sie in dieser Form noch nicht kannten. Und sie damit neugierig oder vielleicht manchmal sogar ärgerlich machen. Das neue Bremsspur-Buch „Unlesbar“ ist ein gutes Beispiel. Ich habe da mit Malte Nies, mit dem ich die Bücher mache, verschiedenste Bücher mit einem Klebeband eingewickelt, auf dem „Unlesbar“ steht. Viele reagieren da im ersten Moment mit Unverständnis, weil sie das Buch nicht lesen können. Aber vielleicht kommen sie dann nach Hause und sind froh, wieder ein Buch aufschlagen zu können, das sie lesen können. Ich mag zu diesem Thema auch die Altare des Künstlers Thomas Hirschhorn. Der hat zum Gedenken zum Beispiel an Raymond Carver oder Ingeborg Bachmann Installationen im öffentlichen Raum gebaut, wo man auch in den Werken der Autoren blättern kann. Wie bekommt man die Leute nicht nur wieder an das Buch sondern vor allem an Gedichte? Vor allem, indem man nicht auf einen wie Reich-Ranicki hört und sich seinen Lyrik-Kanon kauft. Aber das ist natürlich nur meine persönliche Sichtweise. Manche Freunde sagen immer, ich wäre mit meinem Geschmack ziemlich weit draußen, was ich wiederum gar nicht verstehen kann. Ich denke nicht, dass zum Beispiel Rimbaud, Whitman, Pessoa oder Charms so schwer zu verstehen sind. Manchmal dauert es nur so unheimlich lange, sich durch die ganze Literaturwelt durchzuschlagen bis man auf jemanden stößt, mit dem man auch etwas anfangen kann.

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