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Das verflixte Nebenherverlieben

Illustration: Dirk Schmidt

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Verlieben hat im Laufe unseres bisherigen Lebens verschiedene Entwicklungsstufen durchgemacht. In der Grundschule war alles noch bailando-super, wenn der Moritz aus der 3a uns nicht dauernd an den Haaren gezogen hat und wir unsere Vormittage mit dem Ausrupfen von Gänseblümchenblütenblättern verplempern konnten. In der Pubertät wurde das dann schon alles komplizierter. Verlieben wurde zelebriert. Eher gesagt wurde hauptsächlich das unglücklich verliebt sein zelebriert. Ausgestattet mit Radiohead, Rotwein und langärmeligen Ringelpullis konnten wir uns gut und gerne eine ganze Nacht selbst leid tun. Und das mehrere Wochen am Stück. Nachdem wir diese ungute Phase hinter uns gelassen hatten, fing dann endlich mal das angenehme Verlieben an. Angenehm vor allem, weil wir erfolgreich einen ganz passablen Partner an Land gezogen hatten. Wir genossen die übernatürlich hohe Ausstoßung von Serotonin, freuten uns sogar über rote Ampeln und grinsten grenzdebil in der Gegend rum.

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Illustration: Dirk Schmidt

Damit sollte sich das Thema Verlieben eigentlich erledigt haben. Welche Formen von Verlieben außer die oben genannten sollten denn noch existieren? Eine Menge ... müssen wir später feststellen. Eine der perfidesten ist das „Nebenherverlieben“.

Grundvoraussetzung dafür ist eine tiptop funktionierende Beziehung. So ein erstes Verliebtsein damit ist toll. Aber wir wissen alle, dass sich das auch irgendwann wieder relativiert. Der Körper hört wissenschaftlich bestätigt nach sechs Monaten – spätestens – auf, bei jedem Kuss wie wild Hormone auszuschütten und langsam kehrt Ruhe in unseren Alltag ein. Das ist auch gut so, sonst würden wir wahlweise verhungern oder verarmen.

Das Meistern der alltäglichen Routine wird zu unserer neuen Herausforderung. Man achtet statt auf das farbliche Abstimmen der Unterwäsche, mehr darauf, dass überhaupt Wäsche im Schrank ist und fragt bei den Telefonaten mit dem Partner nicht mehr dauernd „vermisst du mich?“, sondern öfter mal „hast du die Kaffeemaschine ausgemacht?“. Aber das ist in Ordnung, das gehört dazu – und das bereichert unsere Beziehung auch und damit unser Leben.

Langsam pendelt sich alles schön ein und wenn man sich es in der eigenen Beziehung kuschelig zurecht gemacht hat und auch die restlichen Beschäftigungen wie Nahrungsaufnahme, Geldbeschaffung und Körperhygiene im Griff hat, stellt sich so eine seltsame Stille ein. Man ist zufrieden, man braucht nichts weiteres zum Glücklichsein. Und genau dann schnappt die Nebenherverliebenfalle zu!

Durch einen Zufall lernen wir jemanden kennen, den wir ganz interessant finden, vielleicht sogar anziehend. Man gefällt sich gegenseitig und schwuppdiwupp scheint die Sonne etwas heller. Man hüpft wieder wie ein blöder Gummiball die Straße entlang, probiert fünf Hosen durch bis man die passende zum Pulli gefunden hat und nimmt nicht einfach nur die erste, die oben auf dem Stapel liegt. Trotzdem kommt man nicht auf die Idee, etwas mit dieser Person anzufangen oder sich gar von seinem Partner zu trennen. Ganz im Gegenteil, die eigene Beziehung läuft seit dem Auftauchen eines potenziellen Nebenbuhlers viel besser und das hat rein gar nichts mit Eifersuchtsspielchen oder Schwanzvergleich zu tun. Meistens bekommt der Partner davon nämlich gar nichts mit.

Nebenherverlieben hat nichts mit Untreue zu tun

Das Ganze funktioniert sozusagen nach dem Prinzip Verlieben-light. Weil wir uns an unseren Partner und unsere Beziehung gewöhnt haben, saugen wir ungewollt Aufmerksamkeit aus fremden Quellen auf wie ein Schwamm. Die neue Beachtung gibt uns selbst einen Anstoß, mehr auf uns zu achten, nicht nur optisch, sondern auch mental. Wir handeln überlegter, wählen unsere Worte besser und nehmen unsere Umwelt viel intensiver wahr. Davon profitiert auch unser Partner. Der sitzt nämlich garantiert lieber mit einer gut gelaunten Person am Frühstückstisch, als mit einer Motzkugel. Wer jemanden Neues kennen lernt, bekommt die Chance, sich und seine Beziehung neu einzuordnen. Schnell wird klar, dass der Fremde eine bestimmte Eigenschaft besonders gut abdeckt, und genau die findet man ja auch so interessant, aber dieses Talent ist zu partiell. Der eigene Partner mag da vielleicht schlechter abschneiden, aber dafür stimmt bei ihm das Gesamtkonzept.

Nebenherverlieben hat nichts mit Untreue zu tun und auch der Moralfinger hat hier nichts zu suchen, da nie zur Debatte steht, seinen eigenen Partner zu verlassen oder ihn zu betrügen. Nebenherverlieben ist eher wie ein Fingerschnippsen, während man gerade mit offenen Augen gedöst hat. Ein wenig Selbstbestätigung und ein gutes Abschneiden beim Test des eigenen Marktwertes. Und das braucht das Ego. Man kann nicht erwarten, dass der eigene Partner immer hundertprozentige Aufmerksamkeit übrig hat. Davon abgesehen möchte man auch einmal von einer vermeintlich objektiven Quelle Honig um den Mund geschmiert bekommen. Legt man so ein „Kompliment“ aber auf die Waagschale, hat das vom Partner nach wie vor viel mehr Gewicht, als von dieser fremden Person - egal wie interessant wir sie finden.

Nebenherverlieben hat manchmal etwas mit Flirten zu tun, muss es aber nicht. Es kann auch nur Bewunderung aus der Stille sein. Eins ist es sicher nicht: Fremdgehen. Der beste Part ist aber, so schnell wie es kam, verschwindet es meist auch wieder. Eine kurze Spinnerei eben. Die Beziehung aber bleibt und der frische Wind, den das Nebenherverlieben reingebracht hat, hoffentlich auch.

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