Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Mein erstes Semester als Physikstudentin

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Folge 3: 300 Schwingungen abwarten Anne Zinndorf, 20, studiert seit Oktober 2005 Physik an der Universität Heidelberg In der Schule hat mir Physik immer Spaß gemacht, vor allem für Astronomie habe ich mich immer interessiert und wohl auch dafür, „die Welt ein wenig zu erklären". Nach dem Abitur habe ich dann beschlossen, Physik zu studieren. Eigentlich nicht wegen eines bestimmten Berufsziels, nein, mit Physik kann man ja in alle möglichen Bereiche gehen und ist nicht so festgelegt. Das fand ich gerade reizvoll. Alles war am Anfang eigentlich sehr durchorganisiert -und trotzdem war ich erst mal schockiert: Beim Mathevorkurs saßen auf einmal 500 oder 600 Leute mit mir in einem riesigen Hörsaal. Wenn man gerade von der Schule kommt, merkt man mit einem Schlag: Das ist jetzt hier etwas anderes. Eigentlich sollten im Vorkurs nur „Kenntnisse angeglichen“ werden - aber das war einigermaßen untertrieben. Wir sind direkt in die höhere Mathematik eingestiegen. Das war dann der zweite große Schock: Ich habe es einfach nicht verstanden. Obwohl ich vorher dachte, dass ich doch eigentlich nicht so schlecht in Mathe bin. Das Seltsame ist, dass es zuerst genau umgekehrt aussieht. Man definiert die natürlichen Zahlen und dass einmal x gleich x ist, Kommutativgesetz, Assoziativgesetz und so weiter. Dinge, bei denen man sich eben denkt: Gott, das weiß ich doch schon ewig. Aber mit einem Mal wird es immer abstrakter und man muss aufpassen, nicht den Anschluss zu verlieren. Gut, in den Übungsgruppen und beim Nachbereiten versteht man die Sachen schon etwas besser. Aber ALLES hinterblickt man nie ganz... Angst vor den 1,0-Abiturienten Dass es nicht einfach ist, liegt sicher auch daran, dass die Uni ihrem Ruf gerecht werden will: Sie bezeichnet sich ja selbst gerne als Elite-Universität. Deswegen ist hier alles top ausgestattet und modern, genug Geld scheint da zu sein, das merkt man auch überall - außer beim Mensaessen. Bei der Einführungsveranstaltung hat der Direktor jedenfalls ständig betont, die Ruprecht-Karls-Universität sei eine der besten in Deutschland und deshalb sollen wir das Studium ernst nehmen. Man wird also schon ein wenig getrimmt und in die Elitenschublade gesteckt. Und das kann einem genauso Angst machen wie der Gedanke, dass alle Medizinstudenten, die hier herumlaufen ein Abitur mit 1,0 gemacht haben. Sonst wären die hier nämlich nicht genommen worden. Kannst Du Dich einen Platz weiter setzen? Das Drumherum ist hier sowieso klasse: Heidelberg ist eben eine tolle Studentenstadt, nur Studenten auf den Straßen, immer Studentenpartys. Auch die Kommilitonen sind toll und ganz anders, als man sich Physikstudenten so vorstellt - nun ja, vielleicht nicht ganz anders. Von diesen typischen Einzelgängern, die alles alleine machen wollen, gibt es schon ein paar. Als ich am ersten Tag in eine Vorlesung kam, wollte ich mich neben einen Jungen setzen, der dann meinte, ich sollte doch bitte einen Platz frei lassen und mich nicht direkt neben ihn setzen. Aber ich habe jede Menge nette Menschen kennen gelernt, die sich vor allem auch noch für andere Dinge interessieren und nicht nur auf ihr Fach fixiert sind - ich spiele zum Beispiel Querflöte und habe viele getroffen, die auch Musik machen. Allerdings ist das so eine der vielen Sachen (wie endlich mal zum Uni-Sport gehen), zu denen ich im ersten Semester nicht gekommen bin. Ich habe kaum gespielt, beim Uni-Orchester hatte ich es mal versucht, aber sie brauchten keine Flötistin. Das fehlt mir schon sehr, weil es mir immer wichtig war. Ihr werdet mich nicht los! Von den Semesterferien hatte ich bisher noch nichts. Erst kamen die Klausuren, jetzt bin ich mit einem Praktikum beschäftigt, das mindestens genauso anstrengend ist wie das Studieren. Morgens lernen wir die Theorie zu einem Versuch, dann sitzen wir herum und warten bis irgendein Pendel dreihundert Schwingungen hinter sich gebracht hat, um dann alles ganz pedantisch auszumessen. Am Schluss kommt die Auswertung, mit der man bis spät abends beschäftigt ist. Vier Wochen geht es noch und ich bin schon nach drei Tagen ganz fertig davon. Aber danach ist endlich frei. Weiterstudieren will ich auf jeden Fall. Was wir machen, ist interessant und die Physik macht mir Spaß. Ich muss halt noch lernen, mir das nicht so zu Herzen zu nehmen, wenn ich mal nichts verstehe. Es ist ja auch ein Sprung von der Schule zur Uni und ich glaube, ich habe mich davon ein wenig entmutigen lassen. Man darf sich aber nicht gleich abschrecken lassen. Man muss sich denken: Ich kann das schaffen. Ihr werdet mich nicht los. Bisher sind erschienen: 1. Mein erstes Semester als Germanistikstudent 2. Mein erstes Semester als wissenschaftlicher Mitarbeiter 3. Mein erstes Semester als Juniorprofessorin

  • teilen
  • schließen