Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Kochbuchkritik: Schlichte Gerichte

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Eine gute Freundin breitete vor einiger Zeit ein ganz wundervolles Kochbuch vor mir aus, das sie selbst von ihren Großeltern geerbt hatte. Der Autor war Clemens Wilmenrod, der völlig vergessene erste Fernsehkoch Deutschlands und Erfinder des Toast Hawaii, der sich nach dem Ende seiner Schwarz-Weiß-Fernsehen-Karriere Ende der 60er das Leben nahm. Das Buch mit dem Titel: „Es liegt mir auf der Zunge“, war für uns junge Dinger als Kochbuch von geringem Nutzwert, dafür aber umso mehr ein Zeitdokument der 50er und 60er Jahre, das manches Staunen und viel Belustigung bereitete: Wilmenrods Kreationen mussten damals notgedrungen auf das Nötigste zurückgreifen und dennoch den Geruch der großen weiten Welt der Cuisine verbreiten – was dazu führte, dass aus einer Bulette, Kartoffelbrei und einer Scheibe Dosenananas (deren Exotik damals ungefähr so spektakulär gewesen sein muss wie in den 90ern Sushi) ein nach Urlaub und Sonne klingendes Menü namens „Capri“ wurde. In dieser Zeit und Gefühlswelt wildert auch das kleine Kochbuch „Schlichte Gerichte“. Es wird vom Düsseldorfer Was-mit-Gestaltung-Verbund „Die Gute Gesellschaft“ unter dem Label „Die kleine Marie“ herausgegeben, umfasst 75 Gerichte und verspricht jeweils vier Personen für unter fünf Euro zu sättigen. Das Logo der „kleinen Marie“, ein Mädchen mit einem Kopftuch, erinnert an eine Trümmerfrau; der Name ist im Rheinischen zudem ein umgangssprachlicher Terminus für Kleingeld. Das Kochbuch ist genau genommen gar kein Buch. Die türkis gemusterten Seiten aus abwaschbarem Wachspapier der „Schlichten Gerichte“ werden von einer Buchbinderschraube zusammengehalten, können daumenkinoartig durchgeblättert oder an der gewünschten Stelle aufgeklappt werden. Auf jeglichen kochbuchüblichen Pomp, Fotos von wundersam glitzerndem Essen oder gar lachenden Menschen, wurde komplett verzichtet. Die Schrift ist für ein Kochbuch eigentlich zu klein, was aber weniger schadet als man zunächst vermuten würde, da die Kochanweisungen fast immer so knapp gehalten sind, dass man sie nach zweimaligem Lesen ohnehin im Kopf hat. Zudem sind diese Anweisungen so grob angelegt, dass sowieso stets aus dem Handgelenk und nicht nach Rezept gekocht werden sollte. Serviert wird ausschließlich Hausmannskost: Hirsebrei, Möhrchensalat, arme Ritter, reiche Ritter und Butterbrote mit Schnittlauch und Paprikagewürz, die den Namen „Geschmeidiger Ungar“ tragen. Dazu wird ein Glas Bier oder auch mal „ein schönes kühles Glas Wasser“ empfohlen. Der Duktus des Ganzen ist von einer zunächst überraschenden und daher genehmen, auf Dauer aber aufdringlichen Naivität. Die Rezepte sind, wenn es überhaupt Rezepte und keine Servieranweisungen sind, tatsächlich äußerst schlicht und wenden sich an die Freunde, einfacher, schneller Küche. Exquisite Zutaten, verblüffende Kniffe, wundervolle, neue Geschmackswelten finden sich hier nicht. Wer in die Kunst der fixen Zubereitung einsteigen mag, wird bestens bedient – wer allerdings die hohe Kunst des Kochens zelebrieren will, wird enttäuscht. „Schlichte Gerichte“ ist ein sehr nette, weil sowohl optisch als auch inhaltlich vollkommen aus dem Reigen der jungen, vermeintlich hippen Kochbücher tanzende Abwechslung. Ein wirklich hübscher Ideengeber aus einer Zeit, als eine Küche auch ohne Mälzer-Zange, Frucht-Essig-Sortiment und Pinienkerne vollständig war.

  • teilen
  • schließen