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Von Fußballfans und Vögeln

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Illustration: karen-ernst Noch 352 mal Schlafen. Dann ist es soweit: Das Eröffnungsspiel der Fußball-WM wird angepfiffen. Bis "die Welt zu Gast bei Freunden" ist, bleibt viel zu tun: Stadien fertig stellen, U-Bahn-Netze und Zufahrtsstraßen ausbauen. Innenstädte herausputzen, Parks säubern, neue Wegweiser aufstellen. Weltoffener werden, Bürgersteige herunter- anstatt heraufklappen. Verrichtungsboxen aufstellen. Verrichtungsboxen? Zur Weltmeisterschaft werden nicht nur Touristen aus aller Welt erwartet, sondern auch 40 000 Prostituierte. Wirtschaftsexperten schätzen, dass die WM dem Land 80 000 bis 100 000 Arbeitsplätze bringt, doch dachte man dabei eher an Kellner, Würstchenverkäufer und Fremdenführer. Aber eben auch Prostituierte wollen ihre Dienste anbieten. Katharina Cetin von der Prostituierten-Organisation Hydra erwartet "tolle Verdienstmöglichkeiten, da wird es gute Geschäfte geben". Auch Sex soll gut organisiert sein Damit Parks und Grünanlagen der WM-Standorte nach den Spielen nicht aussehen wie der Central Park während einem Love-In in den 70er Jahren, haben sich etwa die Stadtverwaltungen von Dortmund und Köln etwas einfallen lassen. Sie haben Garagen-ähnliche Car-Ports aufgestellt, in denen die Prostituierten ihr "Geschäft verrichten" können. Und um dem Kind einen Namen zu geben, wurden sie im schönsten Amtsdeutsch "Verrichtungsboxen" genannt. Die Presse hat daraufhin schnell die Wortspielmaschine angeworfen: Der Berliner Kurier freut sich auf die "WM ZweitausendSex", Bild auf "Vögelhäuschen für geile Fußballfans". Österreichs Krone weiß, dass während der WM nicht nur das Runde in das Eckige muss, sondern in den "Stichboxen" auch "etwas ganz Anderes ganz woanders rein", und weist auf die Gemeinsamkeiten der Boxen mit echten Garagen hin: "Die Stoßdämpfer werden heftig getestet." Die Journalisten kichern also verschämt in ihre Tastaturen und das alles klingt tatsächlich reichlich komisch. Auch, dass es in jeder Kabine neben einem Kondom- einen Snackautomaten geben soll. Die Zukunft der käuflichen Liebe Trotzdem ein unangenehmer Gedanke: betrunkene, vielleicht aggressive Fußballfans werden aus den Stadien an den Strich strömen, um ihre Wut über das Ausscheiden der eigenen Mannschaft zu vergessen. Nur durch eine Autoscheibe und eine Wellblechwand vom nächsten Auto getrennt, wo vielleicht ein Fan der gegnerischen Mannschaft etwas sehr ähnliches tut. Ein Drive-In der käuflichen Liebe. Trotzdem sind diese Verrichtungsboxen vielleicht gar keine schlechte Idee. Denn wo Nachfrage besteht, da bildet sich ein Markt. Das ist auch bei Sex so. Und bei diesem Markt ist es besser, wenn er nicht auf dem Marktplatz, sondern auf extra dafür ausgewiesenen Flächen stattfindet. Besser für die Anwohner, besser für die Anbieterinnen. In Köln verlagern sie seit 2001 den Straßenstrich von der Innenstadt auf eben jene "Verrichtungs-Gelände". Bei Problemen sind Polizei, das Ordnungsamt und Frauenvereine über einen Notrufschalter erreichbar. In Köln konnten laut dem Stadtrat Zuhälterei, Prostitution von Minderjährigen und Drogenhandel eingedämmt werden. Bier oder Sex – das ist die Frage Aber: Unterstellen wir mal, das der durchschnittliche Fan während des Spiels drei, davor und danach noch mal je ein Bier trinkt. Sind zusammen fünf Bier. Die Verrichtungsboxen werden wohl schnell an Popularität verlieren, wenn die Freier-Fans an der Ausfahrt des Geländes selber noch mal blasen müssen. Bei der Polizei, am Alkomaten. Darüber sollten die Erfinder der Vögelhäuschen noch mal eine Nacht schlafen. Noch 352 Mal Schlafen. Stadien fertig stellen, Bürgersteige herunterklappen, Verrichtungsboxen aufstellen.

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