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Nenn das Kind beim Namen

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Illustration: karen-ernst Der neue Trend bei Schönheitsoperationen ist die Lippenverkleinerung. Die Schamlippenverkleinerung. Schönheitsoperationen an der Vagina werden laut Chirurgen immer beliebter, Dr. Stefan Gress aus München führt nach eigenen Angaben bis zu 20 Vaginaloperationen im Monat durch. Aber woran orientieren sich Frauen dabei? Gibt es ein Schönheitsideal für Vaginen? Ein Näschen wie Nicole Kidman, Titten wie die Anderson und eine Muschi wie, ja, wie wer? Als heterosexuelle Frau sieht man in seinem Leben normalerweise nicht so viele verschiedene ausgewachsene Vulvas, höchstens in Pornos. Das Vorbild aus der Pornoreihe Die wenigsten Frauen aber werden sagen, meine Muschi soll aussehen wie die von Mona LaPerla aus „Ficken – jetzt erst recht“ I bis III. Aber trotzdem scheinen viele Frauen zu wissen, was an ihrer Scheide weggemacht und verändert werden muss. Sie wissen also, das sie das, was sie haben, nicht wollen. Schaut ja auf den ersten Blick wirklich nicht immer schön aus, so eine Möse. Aber ein Penis sieht auch nicht aus wie eine frisch gepflückte Hyazinthe. Oder ein Schwanz. Wie einfach das zu sagen ist: Penis, Schwanz, Pimmel. Das auszusprechen fällt meist sogar Frauen leichter als Muschi, Möse oder Fotze. Eigentlich gibt es keinen Namen, der so richtig passt. Den man völlig ungeniert auch einfach mal so in den Mund nehmen kann. Wieso nehmen es Männer mit ihren Geschlechtsteil soviel leichter? Vielleicht einfach, weil sie wirklich ein Geschlechtsteil haben, ein Körperteil, ein Ding. Wenn sie hinfassen, spüren sie es, auch durch die Hose hindurch, wenn sie an sich herunterschauen, sehen sie es. Gefangen im Namensloch Wenn Mädchen an sich herunterschauen, sehen sie: Haare. Wenn sie vor dem Spiegel stehen, sehen sie: Haare. Und unter den Haaren versteckt sich im Prinzip ein Nichts – ein Loch mit ein bisschen was drumrum. Und so fallen viele Mädchen in der Pubertät in ein Namensloch. Während Filme gedreht werden, in denen es um einen Penis geht, der zu seinem Besitzer spricht und Buben sich zum Gruppenwichsen treffen, versuchen die Mädchen immer noch herauszufinden, was sie eigentlich genau zwischen den Beinen haben. Die Mutter mischt sich nicht mehr in das Hygieneverhalten ein und Mumu, Lulu oder ein anderer Name, der nach dem Helden eines Kindercomics klingt, verschwindet aus dem familiären Wortschatz. Ein Freund, der der Muschi neue Aufmerksamkeit schenkt und über sie spricht, ist allerdings noch lange nicht in Sicht. Und wenn er dann auf der Matte steht, haben sich die Mädchen schon so an die Namenlosigkeit gewöhnt, dass es erst mal anstrengend und peinlich wird. Vagina klingt eindeutig zu medizinisch und Möse – haben das nicht total befreit auch schon die Hippie-Eltern verwendet? Die haben auch noch gebumst und damit wollen die Kinder dann wirklich nichts zu tun haben. Muschi ist zu putzig, so lieblich ist das Wesen zwischen den Frauenschenkeln gar nicht und Fotze, also bitte, das klingt einfach nach Kotze. Wobei Fotze ja etwas befreiend ordinäres hat. Andererseits schadet ein bisschen Niedlichkeit der Muschi vielleicht auch nicht. Namensgebungsprozess Ganz egal, für welchen Namen ein Mädchen sich entscheidet, jedes sollte einen eigenen für seine eigene Scheide haben. Damit das Gebiet zwischen ihren Beinen aus der Anonymität befreit wird. Das heißt ja dann nicht, dass man sich für das Liebesspiel nicht neue Namen ausdenken kann – aber den einen, den behält das Mädchen immer, der ist ihrer. Der Weg zum eigenen Namen ist so schwer auch wieder nicht. Am besten man überlegt sich alle Namen, die in Frage kommen und sagt sie laut vor sich hin. Vielleicht setzt man noch das Personalpronomen „Mein/e“ vor den Begriff. Eines der Wörter wird das Richtige sein. Wenn es dann auch noch okay klingt, wenn der Freund es ausspricht, ist die Namensgebung perfekt. Sehr schön. Und jetzt, wo Mädchen ein so vertrautes Verhältnis zu ihrer Vagina haben, wäre eine Operation doch wirklich schade.

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