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Anbandeln unter trüben Tassen

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Illustration: karen-ernst „Kaffeetrinken gehen“ – davon bin ich überzeugt - ist das typische Balzverhalten des 21. Jahrhunderts. Das langwierige Procedere einer Beitrittsverhandlung. Hinter der so zwanglos ausgesprochenen Einladung im Bibliothekengang oder an der roten Ampel steckt die mühsam kaschierte Sehnsucht nach Zweisamkeit. Eine Freundin wollte mir das Gefasel vom „Kaffeetrinken“ als eindeutigem Angebot nicht glauben. Von einem Mitstudenten höflich zum „Kaffeetrinken“ eingeladen, machte sie aber den Test. Kaffee okay, meinte sie, aber mehr als das laufe nicht, sie habe einen Freund. Als er darauf sagte: „Na gut, dann nicht!“, war sie erstens erstaunt und hatte zweitens ein schlechtes Gewissen. Kaffeesatz lesen statt Kaffee trinken Es gilt als erwiesen, dass die zwischenmenschliche Kommunikation vom Entschlüsseln signifikanter Zeichen und Codes abhängig ist. Vor allem zwischen Mann und Frau. Beim Vorgang des „Kaffeetrinkens“ kommt die Komplexität der Zeichen und Codes zum Tragen. Denn je plastischer sich vor den eigenen Augen abzeichnet, was man eigentlich unter „Kaffeetrinken“ versteht, desto eher scheitert man an hinderlichen Tatsachen in der Realität. Da ist es vielleicht gut, gleich konkret zu werden, ganz zwanglos, ohne Umschweife. Man soll sich ja nicht verstellen müssen. Und beide wissen gleich, worum es geht. Kein Raum für Interpretationen In der Regel aber funktioniert die offensive Variante nicht. Ein Café ist nicht der Ort, wo man Hüften aneinander reiben kann und sich bei wummernden Boxen nur Gesprächsfetzen in die Ohren zu brüllen braucht. Wo einzelne Silben vielleicht verloren gehen, aber kein Mensch mehr danach sucht, wenn man sich später gemeinsam in den Laken wälzt. Beim „Kaffeetrinken“ zählt jedes Wort, und vor allem der Tonfall, in dem es ausgesprochen wird. Ein Satz wie: „Da war ich mit meinem Freund in Urlaub“ lässt leider wenig Raum für eine günstige Interpretation. Meistens aber werden die Satzstücke fleißig solange umgedreht und gewendet, bis vielleicht ein winziger Anhaltspunkt über Beziehungsstand und Verfassung des Gegenübers zu erhaschen ist. Alles bleibt vage, auf den Punkt zu kommen traut man sich nicht. Nicht, wenn man anschließend einen roten Kopf bekommt, anstatt die Kühnheit mit einem überlegenen Grinsen zu relativieren. „Kaffeetrinken gehen“ ist zeitlich und räumlich begrenzt, meistens mal kurz in der Mittagspause. Einen Latte, ein paar SMS, und dann ab ins Seminar. Es ist meist noch hell draußen, beide Parteien sind nicht wirklich in Feiertagsstimmung, sondern behalten immer den Terminplan im Hinterkopf. Abgestandener Smalltalk wabert durch den Raum, über den eigenen Tisch hinweg, links und rechts an einem vorbei. Die Begegnungen ähneln oftmals denen von zwei Hunden auf dem Bürgersteig: Man schnüffelt ein bisschen aneinander herum, zwischendrin wird hektisch mit dem Schwanz gewedelt. Sind die Tassen erst mal leer beziehungsweise der Geruchssinn erschöpft, trollt man sich und geht dann getrennter Wege. Intimität ist etwas anderes. Ein kleiner Trost Aber vielleicht liegt das ganze Problem gar nicht in der Wahl der Getränke sondern an der eigenen Persönlichkeit. Höchstwahrscheinlich gelänge es einem dieser "Uga-Uga-Männchen", die nicht lange fackeln sondern zupacken, auch bei einer Verabredung zum Schnecken-Töten, das Mädchen seiner Wahl in die nächstbeste Höhle zu schleppen. Für all die Leichtmatrosen unter uns bleibt nur ein Trost: das Alphabet hält noch einige andere Optionen fürs Anbandeln bereit.

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