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Begriffsverwirrung im Fall Moshammer

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Illustration: karen-ernst Seit vergangenen Freitag erregt „Der Fall Moshammer“ das Land. Eine Sex&Crime-Geschichte nicht erst nach, sondern in der Tagesschau. „Ein Fall für Herz, Hirn und Hose“, schrieb die Süddeutsche sehr richtig. Für die Mitfühlenden, denen die verwaiste Yorshire-Dame „Daisy“ am Herzen liegt. Für die Verfechter des genetischen Fingerabdrucks, die sich in der Überführung des Täters durch Genabgleich bestätigt sehen. Und schließlich ein Fall für alle, die sich und ihre Leser und Zuschauer an schwulem Sex aufgeilen. Zur Klarstellung: Die vier wichtigsten (Sex-)Begriffe zum Fall Moshammer. Homosexuellenmilieu, das: unsinnige, diskriminierende, aber nicht selten benutzte Beschreibung eines diffusen Umfelds, in dem die so genannten Boulevard-Medien den Mörder des Modemachers Rudolph Moshammer vermuteten. Moshammer war nach bisherigem Stand der Ermittlungen von einem 25jährigen Mann erdrosselt worden, weil er sich angeblich geweigert hatte, einen vereinbarten Lohn für sexuelle Dienste zu zahlen. Eigenen Angaben zufolge war der mutmaßliche Mörder nicht homosexuell. Die Tatsache, dass es sich um gleichgeschlechtlichen Sex handelte, versetzte zahlreiche Medien in einen Zustand empörter Erregung. Google-News zählte „ungefähr 196 Treffer“ für den Begriff: Von der Aachener Zeitung bis zum Trostberger Kurier schrieben die Blätter meist unreflektiert vom „Homosexuellenmilieu“. Die Bild-Zeitung fand es sogar angemessen zu fragen: „Stieg im Homo-Milieu der Killer in sein Auto?“ Der Ausdruck entsteht aus einer pejorativen also abwertenden Gleichsetzung der Begriffe „Schwulenszene“ und „Strichermilieu“. Bewusst oder unbewusst wird eine Assoziationskette erzeugt, die Homosexualität in einen direkten Zusammenhang mit Anrüchigem, Kriminalität und Rotlichtvierteln setzt. Der Begriff „Milieu“ ist im Alltagsgebrauch zumeist negativ besetzt (vergleiche: Rotlicht- oder Boxer-Milieu) und beschreibt eine verruchte, unkorrekte Scheinwelt. Dass diese Assoziation intendiert ist, zeigt sich, wenn von der „unbekannten, dunklen Seite“ Moshammers geschrieben wird (zum Beispiel in der Neue Rhein/Neue Ruhr Zeitung und der BZ-Berlin). Die zumeist heterosexuell dominierten Medien stellen Homosexualität so fälschlicherweise als fremd, ungewöhnlich und gefährlich dar. Durch unklare Formulierungen wird sogar die unsinnige Vermutung nahegelegt, Moshammers Mord stehe in einem Zusammenhang oder sei gar eine Folge seiner Homosexualität. Die Nachrichtenagentur AP zitiert zum Beispiel einen Nachbarn des Ermorderten, der eine unsinnige Zwangsläufigkeit andeutet: „Wenn man in bestimmten Kreisen verkehrt, ist es halt gefährlich.“ Heterosexuellenmilieu, das: unsinnige, diskriminierende und nie benutzte Beschreibung eines Umfelds, in dem Heterosexuelle Sex kaufen – übrigens in weit höherer Zahl als Homosexuelle. Homophobie, die: krankhafte Angst und Abneigung vor Homosexuellen. Neben Dummheit und Desinteresse die einzig mögliche Erklärung für die fragwürdige Verwendung des Begriffs „Homosexuellen-Milieu“. Normalität, die: leider noch immer nicht eingelöster Zustand bei der (medialen) Beschreibung sexueller Präferenzen. Mehr zu diesem Thema gibt es auch bei dem Schwulen-Magazin queer.de. Der Bund „Lesbischer und Schwuler Journalisten“ hat zudem die Webseite homosexuellen-milieu.de eingerichtet, um auf die unsinnige Verwendung des Wortes hinzuweisen.

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