Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Aus der ehemaligen jetzt-Community: Du liest einen Nutzertext aus unserem Archiv.

Zeit ist Geld

Text: donArossa
Mein Budget sind genau 13,67 € um nach Hause zu kommen, eine bezahlte Versicherung und die beglichene Autorate.

Das sind pro Kilometer 0,023 Cent. Die Bahn kommt also nicht in Frage. Tagelang vorher zergrübelt man sich den Kopf und hofft auf ein Wunder. Doch das tritt nicht ein. Das Heimweh wächst, je unmöglicher es wird, nach Hause zu kommen.



Mit dem eigenen Fahrzeug bleibt nur die Mitfahrzentrale. Doch spät abends gibt es nur wenige Reisende, genau genommen zwei. Das bringt mich bis zu dem Zwischenziel Leipzig und genau 400 km näher ans Daheim. Es keimt Hoffnung auf. Heute würde ich alles tun um dorthin zu kommen.

Als die Mitfahrer schlafen, nutze ich die Gunst der Stunde und fahre spritsparend. Im rechten Auge den Bordcomputer, der sekundengenau den Verbrauch errechnet und im linken Auge den Tacho der zwischen 90 und 100 km/h schwankt. Im Nacken die Zeit, weil ich versprochen habe 4 Stunden bis Leipzig zu brauchen.

Doch es ist Nacht und solche Schleichfahrten bringen auch mich näher an den Schlaf. Als mich ein LKW überholt schrecke ich auf und bemerke, dass ich langsamer als 90 fahre. Wenn ich nun anhalte und pausiere, müsste ich erklären wo wir gerade sind und wie lange ich noch brauchen werde. Dazu habe ich keine Lust. Also die Augen weit aufgerissen. Doch draußen ist alles grau in grau. Es beginnt nebelig zu werden. Bei jeder Playstation baut sich die Grafik schneller auf. Diese Fahrt ist eine Qual. Doch mit jeder Minute komm ich meinem Ziel näher. In Leipzig angekommen setze ich meine Mitfahrer ab.

Doch ich muss noch weiter. Es fehlen mir dazu zwischen 10 und 15 €. Soll ich mir das Benzin an der Tankstelle stehlen? Ab welchem Betrag wird solch ein Diebstahl verfolgt? Soll ich es auf drei kleine Stehlereien aufteilen? Oder soll ich vorgeben meine Kreditkarte vergessen zu haben, vielleicht einfach fragen, ob ich in einer Woche bezahlen kann?

Egal, jetzt fahre ich erstmal bis das Auto stehen bleibt. Wen werde ich dann anrufen, den ADAC?

Also erstmal auf die A14. Da, vor mir fährt mein Glück! Ich hänge mich ihm an, dem Schwertransporter. In seinem Schatten kann ich gelassen 70 km/h fahren ohne mich auf der Autobahn in Gefahr zu begeben. Welcher Fahrer war je so glücklich über ein Überholverbot über mehrere Kilometer?

So langsam dämmert es, die Scheinwerfer schalte ich so früh wie möglich ab. Ich muss die Autobahn verlassen und hoffe nun, noch nicht zur Behinderung im Berufsverkehr zu werden.

Meine Tankanzeige ist mit mir, sie fängt an sich schön zu rechnen. Wiederholt keimt Hoffnung auf. Doch nun gibt es heruntergelassene Schranken. Ist es günstiger den Motor abzustellen? Nach dem Zug (es gibt ein Leben danach) übersehe ich eine Umleitung und verfahre mich in den Gassen des Weltkulturerbes. Ich schwitze vor Angst wegen des unnützen Benzinverbrauches. Jeder Tropfen ist kostbar.

Ich ereiche die nächste Stadt. Wenn ich ab hier laufen muss, ist es mir egal. 20 km sind nur ein paar Stunden zu Fuß und kein Tagesmarsch mehr. Von Ort zu Ort hangele ich mich. In der Tankanzeige stehen für die verbleibenden Kilometer nur noch drei kleine Strichelchen, Die nächste große Ortsumgehung noch, dann nur noch Landstraße. Das letzte Dorf durchquere ich. Fahre den kleinen Hügel hinab und wieder hinauf, als wenn ich schon mein Auto schieben würde. Tauche in den Wald ein und bin in meiner Heimatstadt. Eine große Steigung noch, kann die Tropfen im Tank schon zählen. Welche Richtung wird ihnen die Schwerkraft geben? Ich rechne jeden Augenblick mit dem Verstummen des Motors. Im Radio läuft Uncle Cracker: „…follow me, every thing is allride”. Ja, so wie dieser Nachtfalke, habe auch ich diese seltsame Nacht hinter mich gebracht.



Doch dann im Bett liegt nicht mein Mann. Sondern eine Miniaturausgabe eines Menschleins wärmt mir das Bett. Meine Tochter will und darf mir keine Antwort geben. Noch einmal an diesem Morgen erfasst mich Panik. Ich renne durchs Haus bis mir jemand sagt, dass mein Mann seit heute wieder Arbeit hat.

Dieser Tag ist perfekt, das Glück unendlich. Vor Freude kullern mir Tränen durchs Gesicht.

Mehr lesen — Aktuelles aus der jetzt-Redaktion: