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Ein Zeichen seiner Männlichkeit

Text: Donaukind
Sabrina und Peggy hatten heute wieder ihre Helly-Hansen-Jacken an. Das war doch voll ätzend und eh schon lange out. Wer hatte denn heute schon noch Helly-Hansen-Jacken an?

Aber mit den Gedanken war sie die ganze Zeit nur bei IHM.

Alles andere registrierte sie am Rande und wie durch einen Schleier.

Er saß eine Reihe weiter und flachste gerade mit Thomas und den anderen Jungs aus der Gas-Wasser-Installateur-Klasse, deren Namen sie nicht kannte.



Er hatte eine etwas kieksige Stimme, die sich manchmal noch überschlug, aber für sie war es der schönste Klang der Welt.



„Was willst’n mit der? Äaaah, die ist ja voll eklig. Der Bauer hat am Samstag mit ihr geknutscht und weißt, was er gesagt hat?“ „Was, der Bauer hat mit der Heldin geknutscht? Haaa!“

Andere Fahrgäste blickten zwar nicht von ihrem starren Blick aus dem Fenster oder von ihren

Zeitungen auf, aber sie hatte das Gefühl, sie fühlten sich gestört von dem lauten Jungs-Quartett, wo einer den anderen zu übertrumpfen und zu überschreien versuchte.

„Die würd ich ja nicht mal mit nem dreckigen Steckerl anfassen, die hat doch gar keine Titten.“ „Du musst es ja wissen. Kennst dich ja aus mit Titten.“

ER haute Thomas zum Schein flach auf den Hinterkopf und konterte zurück. So ging es

eine ganze Weile und alles, was sie dachte, war: Wenn du mich zur Freundin hättest, müsstest du dich nicht mehr an dem Gelaber beteiligen. Dann könntest du ganz stolz drüberstehen.

Dabei war es ihr ganz egal, wie blöd dieses war, sie wollte einfach nur auf dem Pausenhof vor allen anderen seine Hand nehmen können und er sollte sich nicht dafür schämen.

Dann wären sie auf einmal in den Kreis der etwas Erwachseneren aufgestiegen, ganz von allein.



Das mit dem Hand-Nehmen machte er aber nur, wenn sie keiner sehen konnte, nachmittags, wenn sie sich vor dem Bushäuschen trafen und ein paar Zigaretten miteinander rauchten. Dann knutschten sie manchmal ein bisschen, aber am nächsten Tag hörte sie ihn wieder lauthals mit seinen Kumpels grölen und er sah sie nicht einmal an, vor lauter Angst, vielleicht selber zur Zielscheibe zu werden.



In der Scheibe spiegelten sich ihre Gesichter und kurz trafen sich ihre Blicke. Er sah gleich wieder weg.



Aber sie sagte nichts, sie hoffte immer weiter und wenn sie abends einschlief, dachte sie sich, Jungs sind halt eben so und vielleicht gehört das auch unbedingt zu ihnen dazu, vielleicht...ist das Kalte-Schulter-Zeigen ja auch – ein Zeichen seiner Männlichkeit??



__________________________________________________



Es war Freitag und sie stand im Zug. Er stand auch im Zug.

Der Zug war gerade so voll, dass sich die, die mit dem verspäteten

Anschlusszug gekommen waren, nicht zu jemandem dazusetzen

wollten und so standen eben einige.



Sie hatte den Kopf gesenkt und war in ein Alibi-Magazin vertieft,

um die Welt wie gewohnt an sich abprallen zu lassen.

Er stand einfach so da, mit seiner Bundeswehr-Uniform.



Er hatte lange Wimpern und weiche, fast weibliche Augen. Schaute

ernst und hatte eine Reisetasche dabei. Fuhr wohl heim zu seinen

Eltern oder seiner Freundin.

In seiner Ernsthaftigkeit freute er sich aufs Wochenende, das konnte man

sehen.



Da kam plötzlich ein alter Mann mit rotem Gesicht hereingehetzt.

Die Angst, den Zug zu versäumen, stand ihm ins Gesicht geschrieben und

sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sein Gesicht eine einzige

überdimensionale rote Schnapsnase war.



Es mochte auch die Kälte gewesen sein, die ihm zugesetzt hatte, aber

sie glaubte auch, den Geruch von Bier, das schon sehr lange im Körper war,

wahrzunehmen.



Dieser Mann stolperte also über die Kante des Einstiegs und wie er da so

hereinholperte, rutschten ihm die Füße auf dem glatten Untergrund weg, auf den

die Passagiere Schnee mit hereingebracht hatten und alles ging sehr schnell.

Er setzte sich unfreiwillig auf den Hintern – aber bevor genau das passieren konnte,

hatte ihm der Bundeswehrsoldat mit den weichen Augen schon in einer blitzschnellen

und intuitiven Reaktion unter den Arm gegriffen, um ihn wie selbstverständlich abzufedern,

zu beschützen, vor dem Schlimmsten zu bewahren.



Der Mann sagte: „Scheißdreck.“ und „Danke.“



Und sein Gesicht wurde noch ein bisschen röter.



Und sie sah von ihrem Alibi-Magazin auf und war schwer beeindruckt von etwas

vielleicht früher mal Selbstverständlichem.

Lernt man das bei der Bundeswehr?





Für sie war es eine Geste der reinen Männlichkeit.


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