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The Return Of Paranoiawoman

Text: tritop
Das Böse lauert nebenan – Einleitung.

Neulich war Paranoiawoman aus, auf der größten ebenerdigen Kirchweih der Welt oder so (Wobei das mit dem Superlativ ja immer so eine Sache ist: klar hat Kassel den größten Bergpark Europas, aber wer sonst kommt auch auf die Idee, einen Grünstreifen so zu nennen, bloß weil er zufällig Höhenmeter überwindet? Jeder, der auf die Idee kommt, sich ein Pfund Johannisbeeren in die Nase zu stecken, ist automatisch erstmal Rekordhalter...) mit ihrem Heldenkollegen Hangoverman, der nie mehr als drei Biere trinkt. Sie schlugen mit Polsterklöppeln auf arme Plastikmäuseköpfe, schossen auf klavierspielende Cowboys und versuchten den Überschlag im Gitterkasten. sie bewunderten Backformen aus Silikon ("Ob man die auch implantieren kann? Stell dir mal vor, du hättest zwei Gugelhüpfe...") und das Konterfei von Princess Di auf fusseligen Pferdedecken, aßen Backfisch und tranken drei Bier.

Es hätte ein schöner Abend sein können, sie tauschten launige Anekdoten, der Abend war warm und das Bier kühl, Feuerwehrmänner lehnten rauchend aus dem Fenstern ihrer Wache, Mittfünfziger führten ihre Tschibo-Partnerpullover aus, am Autoscooter drängten sich die Teenies „wie wir damals, hach, nur liefen damals noch Charts und keine Klingeltöne“ und beim billigen Jakob konnte man zwischen zwölf verschiedenen Dosenöffnern wählen.

Der Konjunktiv verrät's: irgendwann kippt ja immer was um, die Stimmung oder die Gläser, in diesem Falle gab nicht einmal die Unterhaltung übers Wetter den Ausschlag, vielmehr die Begeisterung Paranoiawomans darüber, daß sie heute, mitten im Herbst, mit offenen Schiebedach gefahren sei.



"Oh Gott, hab ich das auch wieder zugemacht?"



Der Abend war gelaufen.



Nun wohnt Paranoiawoman hübsch beschaulich in einem Viertel, das sich vor allem durch schicke Altbauten mit Lehrerehepaaren und Doppelnamen-Kindern auszeichnet; hier lachen die gestriegelten Kinderbanden nur über einen tragbaren CD-Player in einem offenen Polo und auch vor Wasserschäden hätte Paranoiawoman keine Angst haben müssen, lachte doch auch der blanke Sternenhimmel über der zarten Herbstnacht. Allein: wo Paranoiawoman wohnt, nehmen sich unterbeschäftigte Doppelmütter noch die Zeit, lange Briefe an fremde Windschutzscheiben zu heften, in denen sie erklären, daß sie zu „nicht vor der Einfahrt parken“ auch die zwölf Meter rechts und links davon zählen, „denn zum Öffnen des Tores muß ich sonst ja aus dem Kofferraum klettern!!!“, mit drei Ausrufezeichen und Kringeln über den Is. Daß derlei Frauen gefährlich sind, sollte jedermann wissen, dazu braucht es keine überirdischen Fähigkeiten. Aber nur Paranoiawoman weiß, wozu genau diese Parkfaschistinnen fähig sind: Bismarckheringe unter Beifahrersitzen, gammlige Eier unterm Gaspedal, Hendlmaiers auf der Handbremse. Das sind die Waffen der Hausfrauen!!!



Natürlich stand das Paranoiamobil an diesem Abend wieder einmal gefährlich nahe der Zone, die blinde Spastikerinnen benötigen, um einen Viertonner kollisionsfrei einzuparken. Natürlich hätte Paranoiawoman einfach das Bier stehenlassen können, um die nächste U-Bahn zurück auf den gefährlichsten Parkberg Europas zu nehmen. Paranoiawomans Fähigkeiten sind gigantisch - aber ein Bier nicht austrinken? Auch Superhelden haben Grenzen.

Stattdessen zermarterte sie sich erstmal ihr Heldenhirn: hatte ihr nicht beim Einparken noch ihr Nachbar zugesehen? Ein Frührentner, der sich nicht recht entscheiden kann, ob er lieber Haus- oder Blockwart sein will; ein kleiner Mann mit angewachsenem Hausmeisterkittel, der seine Tage damit verbringt, Treppenhaus, Hof, Einfahrt und den am Haus befindlichen Zigarettenautomaten zu reinigen (hätte er eine Hautkrankheit, er gäbe Anlaß zum Schüttelreim: „der Mann dort mit der Schuppenflechte, der putzt gern unsre Fluppenschächte“); der hätte sie doch auf das Loch im Dach aufmerksam gemacht! Oder? Liegt das Dach ihres Mobils überhaupt unterhalb seiner Augenhöhe?

Paranoiawoman war sich immer weniger sicher. In Ihrer Not entschloß sie sich, ihren Nachbarn einfach anzurufen, aufdaß er sie beruhigen möge: „Natürlich hast du dein Dach zugemacht, Fräulein Paranoia.“ Dann könnte sie beruhigt weiter ihre Freizeit streicheln.



Nun wäre die Gelegenheit, über diesen Nachbarn noch ein wenig mehr zu erzählen – aber an dieser Stelle ist keine Zeit dafür. Das führt zu weit. Das dauert zu lang. Das ist eine eigene Geschichte. In jedem Fall hatte die Auskunft Willis Nummer, und bevor sich Paranoiawoman noch melden konnte, bellte ihr Willi entgegen: „Natürlich hast du dein Dach zugemacht, Fräulein Paranoia. Hab ich doch gleich gesehen. Ich krieg doch alles mit, was du machst. Brauchst nicht zurückkommen, trink ruhig weiter.“



Wäre das Dach doch noch offen, Willi wäre in der Lage, es mit gelben Säcken und Silikon abzudichten. Oder er würde sich danebenstellen, Besen im Anschlag, und für die Bewachung anschließend 20 Euro verlangen.

Unsere Heldin hätte schwören können, daß im Gewühl vor dem Kinderkarussell gerade ein Hausmeisterkittel verschwand.

Eine Minute später saß ein einsamer Held auf einer Bierbank zwischen Luftballons und Zuckerwatte, zwei halbe Biere vor sich.

Das Böse nimmt keine Rücksicht auf Romantik.

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